„Samen 1 erreicht in wenigen Augenblicken das Zielobjekt“, ruft Mandor gutgelaunt ins Funkgerät seiner Station. So erfährt die Hauptbasis auf der Erde in ein paar Momenten auch die frohe Kunde, wenn die Botschaft mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum jagt und dann am Ziel ankommt.
Wenn jetzt noch die Phase Zwei der Operation gelingen würde, dann würde der Aktienkurs seines Auftraggebers mit Sicherheit in die Höhe schießen. Das würden auch seine eigene Erfolgsprämie und die seiner Frau ebenso steigen lassen.
Daraufhin würde die Kapitalbeschaffung an der Börse und damit in der Folge die Eigenkapitalerhöhung seines Auftraggebers zum Erfolg werden und alle Beteiligten könnten die Operation beträchtlich erweitern, ja vervielfachen. Dies würde auch ihm und Saddra neue Aufträge sichern.
Mandor beobachtet sichtbar im Gesicht schon mit einiger Anspannung, wie die helle Sondenkugel das Zielobjekt in der Oortschen Wolke anvisiert. Es sind nur noch einhundert Kilometer, bis die Sonde ihre Harpune auf den gerade einmal etwa 124 Kilometer großen Kometen abschießen wird. Das Objekt „2120 Samot“ wächst durch die Bilder der Sondenkamera und wird das Sonnensystem in etwa siebzig Jahren verlassen haben. Dann führt seine prognostizierte Flugbahn durch den interstellaren Raum.
Dreimal Mal hat dieser Schweifstern bereits die Sonne auf großen Ellipsenbahnen umrundet, seit die Raumsonde Voyager 18 ihn bei ihrem Flug aus dem Sonnenssystem heraus entdeckt hat. Seitdem steht auch fest, dass 2120 Samot ebenfalls in absehbarer Zeit in der Richtung des Sterns Alpha Centaury das Sonnensystem verlassen wird. Schnell ist den Wissenschaftlern damals schon klar geworden, dass dieser Komet für das völlig neue Vorhaben ein geeignetes Objekt sein würde.
Saddra hält ihrem Mann von hinten die Augen zu und lacht. Die Mittvierzigerin hat sich wieder mal herangeschlichen.
„Du? Das hätte ich nicht gedacht!“, lacht Mandor und wirkt nun ein wenig entspannter. „Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet du mir die Augen zuhältst? Es hätte hier jeder in der Europa-Station sein können.“
„Als würdest du dir selbst die Augen zuhalten? Deshalb musste ich es tun!“ Saddra hält ihre ebenfalls gute Laune nicht zurück. „Ich habe gehört, dass in wenigen Augenblicken unsere Samen-Sonde tatsächlich 2120 Samot erreicht!“
Die Sonde übermittelt ihre weiteren Bilder auf den Hauptschirm, die freilich schon einige Zeit in der Vergangenheit liegen, berücksichtigt man die Übertragungszeit von der Oortschen Wolke aus.
Die beiden Wissenschaftler beobachten, wie die abgeschossene Harpune sich rasant von der Sonde entfernt und nur noch über ein sich abwickelndes Seil mit dieser verbunden ist.
Als sich etwa zwanzig Meter abgespult haben, bohrt sich endlich die Spitze in den anvisierten Bereich des gegenwärtig schweiflosen Kometenkörpers. Langsam wickelt sich das nun gespannte Seil wieder auf, wodurch die Sonde dem Schweifstern immer näher kommt.
Schließlich fahren drei Sondenfüße aus und berühren die Oberfläche, so dass die Samen-Sonde stabil und fest verbunden auf dem Kometen feststeht. Damit ist auch der letzte Flugantrieb abgeschaltet und die nächste Operation kann beginnen.
Mandor reibt sich gespannt die Hände. Ein Strahler leuchtet das kleine schmutziggraue Landeplateau ausreichend aus. Nun frisst sich der Laserbohrer immer tiefer in das kometare Gemenge aus Staub, Gestein und Wassereis hinein. Eine Absaugvorrichtung nimmt die erzeugten Splitter auf, damit sie später nach der Rückkehr der Sonde laboratorisch untersucht werden können. Das werden jedoch andere Forscher übernehmen, denn solche Aktivitäten gehören nicht zu den Aufträgen, die das Akademiker-Ehepaar erhalten hat.
Mandor ist zufrieden, als die Sonde einen silbernen Zylinder in die Bohrung hinein ablässt. Mit leicht zusammengekniffenen Augen sagt er leise: „Zu gerne würde ich erfahren, ob der Komet eines Tages auf einen größeren Himmelskörper prallt und dort neues Leben entstehen lassen kann.“
„Du kannst nicht alles erfahren, mein Schatz“, entgegnet Saddra und schmiegt sich an ihren Mann an. „Der Komet ist nun geimpft, das ist unser Auftrag. Alles Weitere unterliegt nur der Verantwortung des Weltalls, da hat die Menschheit keinen Einfluss mehr.“
„Dass du immer so unromantisch sein musst, du superintellektuelles Verstandswesen!“, schimpft Mandor zum Spaß und grinst breit. „Stell dir doch mal vor, dass dieser Komet eine völlig neue Welt irgendwo entstehen lässt und wenn es in Millionen von Jahren sein wird.“
„Vielleicht verrotten seine Überreste auch nur in einem schwarzen Loch, nachdem er vorher noch wie Spaghetti lang gezogen und schließlich zerrissen wird?“ Saddra schmunzelt ihn an.
„Möglich, aber es könnte auch besser kommen. Deshalb ist es so wichtig, dass alles glatt geht. Stell dir vor, wenn dieser Markt wächst, was das bedeutet!“
„Klingeling – ich weiß!“
„Hach, du…“, er schüttelt den Kopf. „Ich spreche von der dann steigenden Wahrscheinlichkeit, dass wir Menschen von der Erde Schöpfer von neuem Leben auf anderen Himmelskörpern spielen!“
„Du meinst: Für jenes Leben in der Vergangenheit der Schöpfer waren. Dort, wo sich dann eine neue Evolutionskette ereignet und die ersten primitiven Wesen sich dann fragen, welcher Gott sie geschaffen hat. Dann beginnen sie aufgrund wirrer religiöser Missverständnisse sich gegenseitig umzubringen und ihren Himmelskörper auszuschlachten und umweltseitig zu verpesten…“
Mandor legt seinen Zeigefinger auf die Lippen seiner Frau, welche sogleich verstummt. Seine Aufmerksamkeit richtet sich jetzt wieder ganz dem Geschehen auf dem Kometen 2120 Samot zu. Gerade wird das Loch unter einem künstlichen Sprühnebel wieder verschlossen.
Der Laserstrahl der Sonde Samen 1 bohrt nun ein zweites Loch und versenkt darin einen schwarzen Zylinder. Das Loch wird wieder verschlossen, indem ein Dorn darin arretiert wird. Darauf wird eine weitere kleine Sonde befestigt.
„Diese kleine graue Kugel ist der Sender, der während der Reise auf dem Kometen Zustandsdaten zur Erde senden wird. Mal sehen, wie lange er tatsächlich Daten übermitteln kann.“
„Wie lange soll er denn senden?“, fragt Saddra.
„Wenn die Batterien immer wieder wie geplant durch verschiedene Prozesse aufgeladen werden, könnte er eine Jahrhunderte lange Zeit Signale senden. Nur wird der Komet wahrscheinlich länger unterwegs sein – auf jeden Fall länger, als die Menschheit noch existieren wird. Wir beide werden das Ende des Verlaufs jedenfalls nicht mehr erleben. Jetzt, kommt die Abschlussphase, schau!“
Als anschließend die Sonde das Seil zur Harpune kappt und der Abstand zwischen den beiden Himmelskörpern sich nun langsam kontrolliert wieder vergrößert, sprüht sie 2120 Samot in einen immer dichteren Nebel ein.
„Super, wie der Komet nun zusätzlich mit hochmolekularen Verbindungen getränkt wird, hoffentlich übersteht viel davon in den Ritzen und Spalten. Wer hätte gedacht, dass wir auf dem einzigen noch wachsenden Markt der Erde tätig sein dürfen und dies auch noch als Vorreiter.“ Der Wissenschaftler ist sichtlich zufrieden.
„Hauptsache, die Amino- und Nucleinsäuren im Zylinder bleiben während der langen Reise unbeschadet“, sagt Saddra. „Dann kann sich das neue Leben schneller entwickeln, auch falls die aufgesprühten Moleküle die Reise nicht überleben sollten.“
„Nur wirst du das höchstwahrscheinlich nie erfahren“, antwortet ihr Mann als Retoure auf ihre Aussage vor einigen Augenblicken.
„Du bist...“, beginnt sie, doch schon küsst Mandor ihre Lippen, so dass sie verstummen muss. „Schade, dass es nicht in unserer Macht liegt!“, ergänzt sie schnell, als die beiden Lippenpaare wieder voneinander lassen.
„Guck dir das an, der Vorstandsvorsitzende unseres direkten Auftraggebers persönlich will mit uns sprechen, wenn wir wieder auf der Erde sind“, staunt der Wissenschaftler. „Sei jetzt bitte seriös – zumindest für einen Augenblick, unser Traum kann davon abhängen. Er hat uns eine längere Nachricht geschickt, ich spiele sie ab.“
Saddra nickt ihm zu.
Eine tiefe männliche Stimme mit einem fast schon übertrieben seriösen Akzent ertönt: „Herzlichen Glückwunsch. Hier spricht Dr. Marotons, CEO der MenSamDo AG. Sie haben den Auftrag mit dem bestmöglichen Ergebnis ausgeführt. Ihre Sonde mit den organischen Substanzen und mit der Informationsrolle hat den Zielkometen erreicht. Damit setzt Ihr Labor zum ersten Mal gezielt ein kosmisches Objekt mit irdischem organischem Material in den interstellaren Raum ab. Die Konkurrenz ist noch lange nicht so weit. Wir werden die Bilder sogleich der Öffentlichkeit präsentieren. Unser Aktienkurs wird in die scheinbare Unendlichkeit empor schießen. Nach der Kapitalerhöhung haben wir alle Voraussetzungen, die wirklich großen Investitionen zu tätigen, um unsere Auftraggeber so zufrieden zu stellen, dass sich in wenigen Jahren schon unsere Umsatzzahlen verdoppeln oder verdreifachen werden. Wir rechnen schon im nächsten Jahr mit zweistelligen Wachstumsraten. Ein weiterer Ultravermögender will sich ebenfalls verewigen, er finanziert voraussichtlich zehn weitere Impfungsmissionen, die wir umsetzen werden. Sie werden bald weitere Aufträge von uns bekommen und wir freuen uns auf eine sehr lange Zusammenarbeit. Man schätzt diesen neuen Markt auf ein Umsatzpotenzial in Höhe einer größeren dreistelligen Milliardenzahl in den nächsten fünf Jahren und davon werden wir uns gemeinsam ein riesiges Stück erwirtschaften. Wenn Sie wieder auf der Erde gelandet sind, lade ich Sie zu einem persönlichen Dinner in unser fürstlichstes Restaurant ein. Mögen Sie gesund und munter bei uns landen. Bis dahin alles Gute!“
„Zehn weitere Impfungsmissionen? Besser als gar nichts!“ Saddra wirkt enttäuscht. „Ich habe gedacht, dass es gleich steiler vorwärts geht. Aber diese MenSamDo AG scheint wirklich nur Geld getrieben. Mal etwas tun aus einer Ehre heraus, rein aus einer Wissenschaft heraus, aus einem inneren Missionstrieb heraus auf einer dem Untergang geweihten Erde, das geht scheinbar nicht. Dieser Dr. Marotons soll doch auch ultravermögend sein, nicht nur dessen Auftraggeber.“
„Ehre? Sagtest du gerade etwas von Ehre? Der und Ehre? Der hat doch nur seine individuelle Erfolgsbeteiligung im Sinn, mehr nicht!“, winkt Mandor ab. „Aber wir, wir sind nur kleine Wissenschaftler und auf solche Auftraggeber angewiesen. Was würden wir ohne MenSamDo machen, mein Schatz? In irgendeinem verdammten hinterwäldigen Labor die letzten Bakterienstämme züchten und untersuchen?“
Seine Frau verzieht etwas gequält grinsend die Mundwinkel. „Weißt du eigentlich, was MenSamDo heißt? Das ist bestimmt eine Abkürzung.“
Mandor nickt. „Ja, Moment, ich glaube…, wie war das noch einmal? Menschen Samen Dokumentation – MenSamDo.“
„Ein blöder Firmenname“, findet Saddra. „Die Moleküle bezeichnen sie als Samen. Wer weiß, ob sich daraus noch einmal Menschen auf einem fremden Planeten entwickeln würden. Schade, dass die Erde langfristig verloren ist. Was ist mit Dokumentation gemeint? Für wen wollen die etwas aufschreiben?“
„Mit Dokumentation meinen die die Hinterlassenschaften auf den resistenten Datenspeichern in der schwarzen Rolle, die auch auf dem Kometen versenkt wurden“, erklärt ihr Mandor. „Sie wollen der Nachwelt irgendwo fern da draußen in weiter Zukunft eine informative Hilfestellung geben. Mit einfachen Algorithmen haben sie die wichtigsten Daten von der Erde hoffentlich so stabil verschlüsselt, dass sie eine sehr, sehr lange Zeit überdauern können, ohne zerstört zu werden. Wenn dann eine entsprechende Nachfolgezivilisation sich entwickelt und eine gewisse Intelligenz erreicht hat, kann sie die Dokumentation dekodieren und nutzen.“
„Wenn sie meinen. Dabei ist es nicht erwiesen, ob das Ganze überhaupt Sinn macht. Wie hoch sind den die wirklichen Erfolgswahrscheinlichkeiten? Wer weiß ob sich das überhaupt lohnt?“
„Wir Wissenschaftler können nun mal nur mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Du weißt doch, dass die Entfernungen zu groß sind, um gezielt Leben irgendwohin zu schicken. Das mit den Generationenraumschiffen hat sich bekanntlich als Fehlschlag erwiesen. Wer weiss, welchen Umständen wir wirklich das Leben auf der Erde zu verdanken haben. Gib mir jetzt einen Moment Zeit, ich will eine Antwort an diesen Dr. Marotons verfassen.“
„Was willst du ihm mitteilen?“
„Das übliche Blablabla. Wir bedanken uns und wir freuen uns… und so weiter.“
Saddra nickt und sagt: „Gut, dann werde ich die Probeninventur durchführen. Mal sehen, was wir dem Nachtrupp hinterlassen werden.“
Jetzt nickt ihr Mann und wendet sich der Funkanlage zu.
Saddra verlässt den kleinen Kommandostand und betritt das benachbarte Labor. Sie geht zu einem silbernen Schrank von der Größe eines modernen Lastzugs und erfasst den gesamten Inhalt. Sie gleicht ihn mit den Zahlen der Anzeige auf einem tragbaren Datendisplay ab.
Mandor sendet seine diplomatische Antwort an den CEO der MenSamDo AG. Anschließend betritt er das Labor, wo seine Frau gerade die kleine Inventur abschließt.
„Der Probenbestand reicht für weitere 85 Missionen. Da hat unsere Nachfolgeschaft gut zu tun, wenn die Leute in zwei Monaten hier landen“, sagt sie.
„Dann brauchen wir noch ebenso viele Datenspeicherrollen“, nickt Mandor. „Samen 1 ist auf dem Rückweg zur Mondbasis und wird dort in vier Jahren wieder landen. Dem Start der neuen Sonden Samen 2 bis Samen XYZ von der Erde steht dann im nächsten Monat nichts mehr im Wege, damit sie auf Europa mit der wertvollen Molekularfracht versorgt werden können.“
„Was sind das für Menschen, die so viel Geld in diese Sache investieren? Ob da Aufwand und Nutzen überhaupt eine gesunde Relation zueinander haben?“
Er lächelt seine Frau mit einem leicht verschmitzten Gesichtsausdruck an. „Das sind Menschen, die zuviel Geld haben. Sie haben oftmals keine Nachkommen und dafür Zeit und materielle Mittel im Überfluss. Ich weiß nicht, ob die Prognosen stimmen, dass die Menschheit auf der Erde in den nächsten vier- bis fünfhundert Jahren tatsächlich ausstirbt, auch wenn die Umweltein- und -auswirkungen immer katastrophaler werden. Aber ob dies der richtige Weg ist? Die Auftraggeber unseres Auftraggebers wollen zunehmend Aufträge positionieren, hinter Ersteren stecken Raumbehörden und zunehmend sehr, sehr wohlhabende Menschen, die ihr Leben auf der sterbenden Erde noch erfolgreich hinter sich bringen wollen und glauben, Überväter neuer Lebenskulturen auf fremden Himmelskörpern spielen zu können. Wir Wissenschaftler ermöglichen Projekte auf Basis der Naturgesetze. Fragen nach einem Sinn stellen sich uns nicht, das weißt du. Es stellen sich nur Fragen nach Geldgebern, Aufträgen und unserem Überleben, mehr nicht.“
Saddra schüttelt den Kopf. „Das werde ich nie verstehen. Anstatt dass diese ultrawohlhabenden Personen in die Gegenwart investieren und versuchen, der Menschheit noch eine Zukunft zu geben, tun sie nichts. Ich habe sogar das Gefühl, sie beabsichtigen eine gezielte weitere Bevölkerungsreduktion. Da kommt es gerade recht, dass der maskuline Homo sapiens sapiens kaum noch zeugbare Spermien produzieren kann.“
„Gleite nicht in primitive Verschwörungstheorien ab. Meine liebe Biologin, du denkst wieder zu viel...“
„Sie könnten auch in völlig neuartige Generationenraumschiffe investieren, nicht wie diese letzten da…“, unterbricht Saddra ihren Mann und wird da schon wieder von diesem unterbrochen: „Wie soll irdisches Leben denn andere Himmelskörper erreichen? Was sollen das für Raumschiffe sein, die das wirklich erfolgreich ermöglichen würden? Der Mensch ist nicht dazu konzipiert, auf engstem Raum ewig lange zu überleben und dann noch über Generationen und das auf einer Reise ins gänzlich Unbekannte, egal was man für Himmelskörper auswählt, auch wenn die Zielobjekte mit Hilfe der besten Teleskope vorab untersucht werden. Dazu kommt das Zeugungsproblem, welches sich an Bord eines solchen Generationenraumschiffs nicht verbessern würde, wie auch? Nur das Lebenspotenzial kann Lichtjahre durch das All transportiert werden, alles Andere würde wohl nicht lange genug überleben. Es wird neues Leben geben. Eines Tages. Irgendwo. Ob unsere Arbeit daran eine Aktie hat, ist wiederum eine ganz andere Frage. Aber wir können mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten.“
Sie nickt. „Die Verteilung des potenziellen Lebens im All – das wird ein echter Wachstumsmarkt werden. Dann geht die Menschheit auf der Erde unter – krank, aber vermögend! Was sind das eigentlich für Daten auf den schwarzen Dokumentationsrollen?“
„Die Herkunft der Menschheit ist hinterlegt mit ihren wichtigsten geschichtlichen Fakten, viele technische Erfindungen, soziale Hilfestellungen und so weiter. Jede Rolle ist ein gigantisches Datenlexikon, wenn die späteren Intelligenzen, wenn sie sich mal entwickeln sollten, diese dann dechiffrieren.“
„Hat dieser Dr. Marotons jene Daten so festgelegt?“
„Nein, der ist nur ein Vorstand, das sind für ihn unwesentliche Details. Festgelegt hat dies ein ganzer Personenkreis aus Politikern, Wissenschaftlern, Ärzten, Ingenieuren, Pädagogen et cetera.“
Saddra atmet tief durch und lehnt sich an die Schulter ihres Mannes. „Schade, dass auch wir keine Kinder haben werden.“
Die gute Laune des Wissenschaftlers trübt sich nun ein. „Was soll ich dazu sagen? Du weißt, dass wir unfähig sind, ich kann nicht zeugen und du nicht empfangen.“
„Wie haben das die Menschen nur früher getan? Sie vermehrten sich ohne Probleme. Ob sie sich hinsichtlich dieses großen Vorteils überhaupt bewusst gewesen sind? Da ging das mit der Fortpflanzung scheinbar noch automatisch. Vielleicht war damals wirklich alles besser, warum haben wir nicht früher leben können? Dann hätten wir automatisch Kinder gehabt.“
„Bei den Molekülen, die die Samensonden aussetzen, ist es genauso, sie wachsen von selbst, sobald die Voraussetzungen passen. Du weißt dass diese Keime für die lange Reise getestet wurden. Wer weiß, welche Molekülketten möglich sein werden, von denen die Menschheit bis jetzt noch nichts weiß.“
„Schade, dass ich keine solche Molekülkette bin.“ Saddra beginnt mit einem leicht gequälten Gesichtsausdruck zu grinsen.
Da lachen plötzlich beide Wissenschaftler schallend. Mandor verliert sogar ein paar Tränen, die ihm über die Wangen kullern. Nur allmählich beruhigen sie sich.
„Ich denke, wir sollten dann langsam mit dem Ordnungmachen beginnen.“ Mit diesen Worten atmet Saddra tief durch. „Schade, dass wir morgen schon den Jupitermond wieder verlassen müssen.“
So geht die Zeit dahin. In den nachfolgenden Jahrzehnten werden viele kleine Himmelskörper mit zahlreichen Molekülen und Molekülketten bestückt und besprüht und auf ihre weiten Reisen in alle Richtungen geschickt. Unterdessen dezimiert sich die Menschheit immer weiter.
Die letzten Menschen machen das Licht dann aus – vor dem Tag, an dem die Erde eines Tages nicht mehr existieren wird, was vorauszusehen ist...
© Thomas Gessert
© Thomas Gessert 2016 | zum Seitenanfang |